ist eine monatlich wechselnde Ausstellungsreihe in einer Vitrine an der Außenfassade von WIRWIR.
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is an outdoor vitrine exhibition space at WIRWIR with a monthly changing show.
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Kein Werk, Ohne Titel
Ich bin Künstler. Ich hatte Ideen und hielt es für richtig und wichtig, diese Ideen vorzustellen. Ich machte Dinge. Ich glaubte, etwas zu sagen zu haben. Ich hatte Zweifel. Ich machte trotzdem Dinge. Ich hatte mehr Zweifel, Zweifel an den Ideen, Zweifel am Machen und Zweifel an den Dingen. Ich machte weniger Dinge. Und ich hatte mehr Zweifel.
Ich zweifle, ob es richtig oder wichtig ist, etwas vorzustellen. Ich habe immer noch Ideen, doch auf jede Idee folgt die Frage, ob ich unbedingt etwas daraus machen muss. Ich muss nicht. Ich habe euch nichts zu sagen. Ich möchte euch nichts zeigen. Vielleicht ist das Kunst. Doch
ob das Kunst ist, spielt keine Rolle.
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Ich arbeite oft mit der Dokumentation der unmittelbaren Umgebung meines Zuhauses, der Räume und der Objekte. Oft ist dieser Prozess auch mit Erinnerungen verknüpft und wie der Körper, sowohl geistiger als auch körperlicher Ebene, sich zwischen Dokumentation und Erinnerung hin- und herschiebt.Die Zeichnung stammt von einer getrockneten Distel, die ich im vergangenen Winter in einer Ecke unseres Schuppens gefunden habe. Eine Erinnerung und ein Objekt des Sommers auf der kleinen dänischen Insel Samsø, wo ich lebe.Die Distel ist auch der Ausgangspunkt für ein 5 Jahre dauerndes Projekt auf Samsø mit dem Namen “Distelkorridor”. Zusammen mit einer Gruppe anderer Inselbewohner pflanzen wir eine 300 m lange und 5 m
breite Distel-”Grenze” als Schutz vor einer Brücke und einer Autobahn, die die dänische Regierung über unsere winzige Insel bauen will.
- Anne Dyhr & *SoEL
*Seit 2020 arbeitet Anne Dyhr mit SoEL, Sound of Everyday Life, einem fiktiven Kooperationspartner, zusammen. Sie lassen sich vom häuslichen Alltag der Nachbarn, Familie, Freunden und ihrem eigenen Leben inspirieren. In ihrer künstlerischen Praxis konzentrieren sie sich auf Einsamkeit als einen empfindlichen Zustand, ausgelöst von psychischer
Krankheit, Pflege von Familienmitgliedern, Elternschaft,
Armut oder andere Einschränkungen. SoEL hat sich auch
als ein Fotoarchiv entfaltet mit ihren und Annes Arbeiten, sowie eine Plattform für die Veröffentlichung von Künstlerbüchern über das alltägliche Leben,
Forlaget SoEL.
@tidselkorridoren
@anne_dyhr_soel.art
annedyhr.dk
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Was man alles so braucht, wird sich gegen einen wenden.
Es wendet sich gegen den Frühling, der morgens nach einem kurzen
Moment sucht um einen zu streicheln und sich dann enttäuscht und verletzt
abwendet, um ein paar kleine Wolken genau vor die Sonne zu legen.
Doch man braucht neue saubere Schuhe. Und einen Kaffee.
Man braucht Zeit um ihn zu trinken. Und dazu eine Zigarette.
Längere Beine, eine bessere Kondition und ein Auto.
Man braucht ein Bahnticket und man braucht Mut.
Denn zwei Männer schlagen in der Ringbahn aufeinander ein.
Man braucht Mut um mitmachen zu können.
Blut spritzt bis zu Türschwelle. Jetzt oder nie.
Doch dann geht die Tür auf.
Menschen strömen nach und versperren einem die Sicht.
Man braucht einen Sitzplatz.
Ein neues Gedächtnis und einen Szenenwechsel.
Einen Hammer um einem Stück Metall eine neue Form zu geben.
Man braucht Kraft für harte, gut platzierte Hammerschläge.
Doch das Stück zerspringt.
Überall Scherben und dann wieder nichts.
Man braucht einen längeren Hals für die Sonnenstrahlen die über einem
durch das staubige Fenster fallen. Und neue Musik:
„Shame“ von den „Young Fathers.“
Man braucht seine eigenen vier Wände.
Man braucht einen neuen Plan.
Doch vor allem braucht man den Frühling.
- Justus Holzenkamp, 2023
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Gerade heute, während ich eine Tomatensuppe für meine Familie koche, höre ich ein Interview des Elektromusikers Lasse Winkler im Deutschlandfunk Radio. Er erzählt von einer Nacht in Berlin vor vielen Jahren, als er mit ein paar Freunden in ein verlassenes Gebäude einbrach um nach einem passenden Ort für einen Gig zu suchen. Plötzlich hören sie Geräusche und sehen die Lichtkegel von Taschenlampen. Da sie sich nicht sicher sind ob es sich um eine Art Sicherheitsdienst oder Zivilpolizei handelt, wird die Situation ein wenig beängstigend. Zum Glück stellt sich heraus, dass es sich nur um andere Musiker handelt, die auch nach einem Ort suchen. Die beiden Gruppen tun sich zusammen und organisieren schließlich einen gemeinsamen Event.
Geschichten wie diese gehören zunehmend der Vergangenheit an. Sie sind Teil des Mythos, der die Stadt zu einem Magneten für Investoren macht, die in ihren Exposés paradoxerweise den kreativen und rebellischen Charakter der Stadt loben, nur um dann zu ihrem Verschwinden beizutragen. Ein freier, selbstorganisierter Raum nach dem anderen muss kommerziellen Räumen weichen.
Das Schöne an Winklers Geschichte ist, dass sie zeigt wie Menschen in der Lage sind ihre eigene Umgebung zu gestalten und ungenutzte, oder übersehene Orte in etwas Kreatives zu verwandeln. Wie Pflanzen, die ihren Weg zwischen den Rissen im ramponierten Beton hindurch finden, werden verlassene, vergessene oder wenig einladende Orte zu Symbolen für Alternativen, die aus dem kapitalistischen Mainstream-Narrativ herausfallen.
Ich habe die von der Stadt unterstützten Verdrängungen an diesen immer seltener werdenden Orten dokumentiert. So wie das Sprichwort "Unter dem Pflaster liegt der Strand" aus den anarchistischen Bewegungen der 1970er Jahre stammt (unter Anderem), flammt auch heute noch der Widerstand gegen die profitorientierte Entwicklung regelmäßig in vielen Formen auf den Straßen auf.
Mein Ziel ist es nicht nur, Zeitzeuge zu sein, sondern auch diesen Widerstand mit einer eigenen, poetischen Sprache zu unterstützen. Die ausgewählten Fotos stammen aus einer Reihe von Protesten gegen Gentrifizierung und Zwangsräumungen aus den letzten Jahren und sind Teil einer fortlaufenden fotografischen Suche nach den Orten/Momenten, an denen sich das Poetische und das Politische im Zuge des wachsenden Widerstands gegen soziale Ungerechtigkeiten und ökologischen Krisen überschneiden.